Auffahrunfall in der Schweiz: Regelungen & Konsequenzen

Auffahrunfall

Eis und Schnee, Wild oder Unachtsamkeit—ein Crash passiert oft noch, bevor man reagieren kann.

Für den klassischen Auffahrunfall ist in der Schweiz meist ein zu geringer Abstand zum vorausfahrenden Auto verantwortlich. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass grundsätzlich der nachfolgende Fahrer der Unfallverursacher ist.

Aber jede Regel hat seine Ausnahmen. Welche das sind und mit welchen Bussen Sie rechnen müssen, erfahren Sie hier.

In der Schweiz gilt: Grundsätzlich ist das nachfolgende Auto schuld

Beim Autofahren ist jeder Fahrer stets verpflichtet, ausreichend Abstand zu halten (Art. 34 SVG). Das gilt nicht nur beim Hintereinanderfahren, sondern auch beim Überholen, Kreuzen oder nebeneinander fahren. Vorsicht geboten ist zudem gegenüber anderen Strassenbenützern wie Velofahrern und Fussgängern. Brüskes Bremsen und Halten ist nur im Notfall gestattet und wenn kein Verkehrsteilnehmer folgt (Art. 12 VRV).

Der Abstand muss der Geschwindigkeit angepasst sein und soll dem Autofahrer ermöglichen, das Fahrzeug rechtzeitig abzubremsen oder auszuweichen. Dabei müssen Autofahrer Zeit für die Verarbeitung der Informationen und die eigene Bremsreaktionszeit sowie die des Autos einplanen.

Was gilt im Verkehrsrecht als Mindestabstand?

Wer nach Art. 90 SVG eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, macht sich strafbar. Allerdings ist der Mindestabstand in der Schweiz nicht konkret definiert, weder zwischen Autos noch zu anderen Verkehrsteilnehmern. Er hängt von unterschiedlichen Faktoren und der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge ab.

Bei Personenwagen gibt es nachfolgende Regeln, die als Massstab dienen:

  • Halber-Tacho-Regel: Das Fahrzeug muss mindestens halb so viel Meter Abstand halten, wie sein Tacho an km/h Geschwindigkeit anzeigt. Fährt das Auto 100 km/h, sollten für den Bremsweg 50 m vorhanden sein, andernfalls kann eine einfache Verkehrsregelverletzung
  • ⅙-Tacho-Regel: Falls der Abstand deutlich geringer war, wird zu Ermittlung eines groben Regelverstosses u. a. die «⅙-Tacho-Regel» herangezogen. Beträgt der Abstand bei 100 km/h weniger als 16 m, kann eine grobe Verkehrsregelverletzung vorliegen.
  • Zwei-Sekunden-Regel: Der Abstand zum vorausfahrenden Auto soll so viele Meter betragen, wie Ihr Fahrzeug innerhalb von zwei Sekunden zurücklegt. Um das zu messen, beginnen Sie zu zählen, sobald das vor Ihnen fahrende Auto einen bestimmten Punkt passiert. Frühestens nach dem Zählen von 21, 22 darf Ihr Fahrzeug ebenfalls an diesem Punkt ankommen.

Wichtig: Die Beurteilung, ob Sie eine Verkehrsregelverletzung begehen, hängt von vielen Eckpunkten ab. Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnisse, Fahrbahnbreite, Art des Fahrzeuges und Ihre Geschwindigkeit ergeben zusammen die Entscheidungsgrundlage.

Welche Ausnahmen gibt es?

Der Grundsatz, dass stets das nachfolgende Auto Unfallverursacher ist, trifft nicht immer zu. Ausnahmen können sein:

§ Vorderes Auto bremst ohne ersichtlichen Grund

Wenn die vorausfahrende Person ohne ersichtlichen Grund langsamer wird oder den nachfolgenden Autofahrer ärgern will, wird die Schuldfrage neu bewertet. Bremst das vorausfahrende Auto nämlich nur, um nachfolgende Fahrer zu provozieren (Schikanestopp), liegt die Hauptschuld an einem Crash bei dem Provokateur. Ähnlich liegt der Fall, wenn das Bremsmanöver durch einen alkoholisierten oder unter Drogen stehenden Fahrer verursacht wurde.

§ Vorderes Auto bremst aufgrund höherer Gewalt

Auf Autofahrer lauern täglich Risiken, die unvorhersehbare und oft heftige Bremsmanöver erfordern (z. B. umstürzende Bäume bei Sturm). Sie sollten daher stets auf Notsituationen mit kurzem Bremsweg gefasst sein. Reichen Abstand und Ihre persönliche Reaktionszeit dennoch nicht aus, um einen Auffahrunfall zu vermeiden, trägt die vorausfahrende Person in der Regel eine Mitschuld.

Wie soll ich mich nach einem Auffahrunfall verhalten?

Sie konnten den Crash nicht mehr vermeiden? Behalten Sie Ruhe. Halten Sie bzw. fahren Sie auf den Seitenstreifen, schalten Sie das Warnblinklicht an und ziehen Sie eine Leuchtweste über.

Verschaffen Sie sich als Erstes einen Überblick:

  • Ist jemand verletzt? Leisten Sie ggf. Erste Hilfe.
  • Besteht Brand- oder Explosionsgefahr?
  • Wie gross ist der Schaden? Wie viele Fahrzeuge sind beteiligt?
  • Muss die Polizei (117) kommen?

Sichern Sie den Unfallort, nehmen Sie die Daten des Unfallgegners auf und entscheiden Sie, ob die Polizei (117) bzw. der Rettungsdienst (144) oder die Feuerwehr (118) notwendig sind. Die Polizei müssen Sie in jedem Fall rufen, wenn Fahrer oder Mitfahrer verletzt sind.

Gibt es keine Verletzten und handelt es sich nur um einen Blechschaden, entscheiden Sie mit dem Unfallgegner, ob Sie sich ohne Polizei einigen können. Auch wenn das Unfallprotokoll in der Schweiz nicht obligatorisch ist, sollten Sie den Crash umfassend protokollieren und fotografieren. Protokollformulare erhalten Sie bei Ihrer Versicherung.

Ist nicht eindeutig, wer den Unfall verursacht hat, sind Sie mit der Polizei auf der sicheren Seite. Bestehen Sie darauf, dass die Beamten den Unfall aufnehmen und die Aussagen protokollieren. Dabei untersuchen die Polizisten auch, ob jemand alkoholisiert ist oder unter dem Einfluss von Drogen oder Medikamenten steht.

Tipp: Vergessen Sie nicht, umgehend Ihre Haftpflichtversicherung zu informieren. Sie haben ihr gegenüber eine Meldepflicht.

Muss ich weitere Fristen einhalten?

Denken Sie daran, dass Sie Schadensersatzansprüche bei der gegnerischen Versicherung anmelden müssen. Normalerweise übernimmt dies der Unfallverursacher, manchmal unterbleibt dies jedoch. Für die Anmeldung Ihrer Ansprüche haben Sie in der Schweiz maximal 2 Jahre Zeit. Nach Ablauf der Zweijahresfrist gelten solche Ansprüche als verjährt.

Die zuständige Versicherung ist verpflichtet, den Schadensfall innert 3 Monaten nach Meldung zu bearbeiten.

Übrigens: Haben Sie ein Tier verletzt, sind Sie verpflichtet, umgehend den Besitzer zu informieren. Bei Unfällen mit Wild ist der kantonale Wildhüter Ihr Ansprechpartner.

Welche Konsequenzen hat ein Auffahrunfall für mich?

Haben Sie mit dem nachfolgenden Auto den Mindestabstand unterschritten und deshalb den Unfall verursacht? Dann übernimmt meist Ihre Haftpflichtversicherung den Schaden des Geschädigten. Bedingung ist, dass Sie nicht unter Drogen- oder Alkoholeinfluss standen.

Hat der Vordermann unerwartet sein Auto abgebremst, liegt bei ihm möglicherweise eine Mitschuld. In diesem Fall teilen sich die Versicherungen die Kosten.

Liegt vorsätzliches Verhalten vor, weil die vorausfahrende Person einen Schikanestopp provoziert hat, liegt bei ihr die Hauptschuld. Allerdings müssen Sie als nachfolgende(r) Fahrer/Fahrerin die Provokation nachweisen. Können Sie das nicht, trifft Sie die Schuld. Denn im allgemeinen Verkehrsrecht der Schweiz besteht der Grundsatz, dass die nachfolgende Person die Verantwortung für einen Auffahrunfall trägt. Die Versicherung zahlt ohne Beweise nur den entstandenen Schaden am anderen Fahrzeug. Für Ihren eigenen Schaden benötigen Sie eine Vollkaskoversicherung.

Welche Strafen gibt es?

An Strafen kommen die Busse für einfache Verkehrsregelverletzungen, eine Freiheitsstrafe für grobe Verkehrsregelverletzungen, eine Verwarnung und der Führerausweisentzug infrage.

Als Geldbusse können 10-50 Tagessätze aufgerufen werden. Die Höhe der Tagessätze hängt von den individuellen Umständen und vom zuständigen Kanton ab.

Sind Sie Opfer eines Schikanestopps geworden, muss der Verursacher mit einer Geldbusse von 300 CHF oder 30 Tagessätzen rechnen.

Fazit: Hauptursache für Auffahrunfälle ist der zu geringe Abstand

In der Schweiz besteht die Pflicht, im Strassenverkehr ausreichend Mindestabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern sicherzustellen. Was unter einem ausreichenden Abstand zu verstehen ist, bleibt im Gesetz eher vage. Kommt es zu einem Auffahrunfall, besteht der Grundsatz, dass stets der nachfolgende Fahrer Schuld an einem Crash hat. Das passt allerdings nicht immer. Bremst das voranfahrende Auto beispielsweise nur, um den Nachfolger zu provozieren, trifft den Vordermann/die Vorderfrau die Hauptschuld.

Tipp: Wenn Sie überzeugt davon sind, nicht oder zumindest nicht alleine Schuld an einem Auffahrunfall zu haben, lohnt es sich, einen Fachanwalt für Verkehrsrecht zu beauftragen. Das gilt auch, wenn der Unfallverursacher den Unfall nicht an seine Versicherung meldet.